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BVerfGE 7, 198.
Der Beschwerdeführer Lüth hatte in seiner Funktion als Vorsitzender eines Presseclubs, mittels eines offenen Briefes zum Boykott eines Filmes von Veit Harlan aufgerufen. Hintergrund des Aufrufs war der Umstand, dass Veit Harlan im 3. Reich den Film "Jud Süß" - ein antisemitischer Propagandafilm - gedreht hatte.
Der Beschwerdeführer wurde vom LG Hamburg zur Unterlassung der Boykottaufforderung
verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde
erhoben.
- Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des
Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des
Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung,
die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereich
des Rechtes gilt.
- Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der
Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er
ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist
für den Richter besonders realisierbar durch die
Generalklauseln.
- Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen
(§ 90 BVerfGG), wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das
bürgerliche Recht verkennt. Das Bundesverfassungsgericht prüft
zivilgerichtliche Urteile nur auf solche Verletzungen von
Grundrechten, nicht allgemein auf Rechtsfehler nach.
- Auch zivilrechtliche Vorschriften können "allgemeine Gesetze"
im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sein und so das Grundrecht auf Freiheit
der Meinungsäußerung beschränken.
- Die "allgemeinen Gesetze" müssen im Lichte der besonderen
Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für
den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden.
- Das Grundrecht des Art. 5 GG schützt nicht nur das Äußern
einer Meinung als solches, sondern auch das geistige Wirken
durch die Meinungsäußerung.
- Eine Meinungsäußerung, die ein Aufforderung zum Boykott enthält,
verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des
§ 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch
die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt
sein.
"Das Bundesverfassungsgericht ist aufgrund dieser Erwägungen zur der Überzeugung gelangt, dass das Landgericht
bei seiner Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers die besondere Bedeutung verkannt hat, die dem Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung auch dort zukommt, wo es mit privaten Interessen anderer in Konflikt tritt. Das Urteil des Landgerichts beruht auf
diesem Verfehlen grundrechtlicher Maßstäbe und verletzt so das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5
Abs. 1 S.1 GG. Es ist deshalb aufzuheben."
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