Mit materieller Rechtskraft wird die Wirkung der Rechtskraft bezeichnet, die verhindert, dass der Inhalt eines formell rechtskräftigen Urteils Gegenstand eines neuen Verfahrens werden kann. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein einmal errungener Sieg (= formell rechtskräftiges Urteil) wieder in Frage gestellt und damit wertlos wird (prozesshindernde Wirkung). Die materielle Rechtskraft beruht auf der formellen Rechtskraft ist aber nicht zwangsläufige Folge (siehe z.B. unter Vorbehaltsurteil).
Die materielle Rechtskraft wirkt gemäß § 325 Abs. 1 ZPO auch gegen die Parteien und Personen die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Streitgegenstand in solcher Weise erlangt haben, dass die Partei oder ihr Rechtsnachfolger mittelbarer Besitzer geworden ist.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird in § 325 Abs. 2 ZPO angeordnet. Die Rechtskraft wirkt nicht gegen Rechtsnachfolger die im guten Glauben an die Berechtigung und im guten Glauben an eine fehlende Rechtskraftwirkung den Streitgegenstand erworben haben (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 325; Musielak, Grundkurs ZPO Rn. 213). Nach anderer Ansicht wirkt die Rechtskraft schon dann nicht, wenn jemand gutgläubig in Bezug auf das Nichtvorliegen eines Prozesses bezüglich der Streitsache erwirbt. Dieser Streit hat allerdings wenig praxisrelevanz, da sich ein Unterschied nur für die Fälle des Erwerbs vom Berechtigten ergibt, hier aber die Rechtskraft in der Regel dem Erwerber zugunsten kommen wird.
Zur Rechtskraft gehört auch die Frage nach der Bindung an
Vorfragen in einem weiteren Prozess (Präklusion). Der Präklusion unterliegen Vorfragen eines Prozesses, die in einem anderen Prozess Streitgegenstand waren. Die Präklusion stellt so sicher, dass ein Urteil inhaltlich nicht im Widerspruch zu einem vorgehenden Urteil steht.
Gemäß § 322 ZPO umfasst die materielle Rechtskraft den Streitgegenstand der Klage oder Widerklage. Die Rechtskraft erstreckt sich nicht auf die Gründe, die die Entscheidung tragen und auch nicht auf den festgestellten Tatbestand. Der Tatbestand ist aber zur Bestimmung der Rechtskraft heranzuziehen, da der Tenor zur Bestimmung des Streitgegenstandes über den entschieden wurde nicht ausreicht.
Nicht von der Präklusion erfasst werden daher Vorfragen des ersten Prozesses, die nicht in Rechtskraft erwachsen sind. So unterliegt in einem Prozess über einen Kaufpreisanspruch das Bestehen des Kaufvertrages nicht der Präklusion, wenn in einem vorgehenden über das Bestehen der Lieferverpflichtung aus dem gleichen Sachverhalt entschieden wurde.
Um einzelne Vorfragen doch der Rechtskraft fähig zu machen, kann man unter bestimmten Voraussetzungen eine Zwischenfeststellungsklage erheben.
§ 767 Abs. 2 ZPO bestimmt die zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft (siehe Musielak, Grundkurs ZPO, Rn. 715): Die ihm Urteil festgestellte Rechtslage, kann nicht mehr aufgrund von Tatsachen in Zweifel gezogen werden, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung schon entstanden waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Parteien davon wussten.
Von der Rechtskraft ist die Frage nach der Bindungswirkung zu unterscheiden.
Siehe unter Rechtskraftdurchbrechung.
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